Bewertungen von Sprachen durch andere haben Einfluss auf das Selbstbild von Sprecher_innen

Eine Studentin beschreibt rückblickend, wie sie sich nach einem Schulwechsel vom Dorf an ein Gymnasium in der Landeshauptstadt sprachlich nicht dazugehörig fühlte. Die meisten Mitschülerinnen kamen aus höheren Schichten und sprachen das Hochdeutsch der Landeshauptstadt. Die Studentin empfand ihre ländliche Umgangssprache in dieser Umgebung als mangelhaft.

Eine Person ist immer Teil von mehreren Zusammenhängen, beispielsweise der Schule oder der Familie. Dort herrschen jeweils unterschiedliche Regeln und Gewohnheiten des Sprechens. Gesprochene Sprache ist vielschichtig und facettenreich. Die Gesamtheit der Sprachen, Dialekte, Stile und Routinen, die eine Person in sich trägt, beschreibt die Vielfalt ihres Sprachgebrauchs. Im Alltag ist man sich dieser Vielfalt kaum bewusst, im Gespräch wählt man meist unbewusst die passende Sprachform für die jeweilige Situation. Was passiert nun, wenn eine Person in eine Umgebung kommt, in der sie mit den Gewohnheiten nicht vertraut ist? Mit dieser Frage hat sich Brigitta Busch beschäftigt. Die Studentin aus dem Beispiel hat in einer ihrer Lehrveranstaltungen ihre Sprachbiographie aufgeschrieben.

Deutlich wird die Vielfalt des Sprachgebrauchs zum Beispiel, wenn andere in einem Gespräch irritiert reagieren, weil die Beteiligten verschiedene sprachliche Varianten verwenden. Die Studentin beschreibt, dass sie versuchte, sich sprachlich der Ausdrucksweise ihrer Mitschülerinnen anzupassen, um in ihrem neuen Umfeld nicht aufzufallen. Sie nimmt sich selbst durch die Unterschiede im Sprechen zwischen ihr und ihren Mitschülerinnen als mangelhafte und abgewertete Sprecherin wahr, denn ihre Mitschülerinnen spiegeln ihr, dass ihre „ländliche“ Sprache nicht passend ist.

Jeder Mensch macht sich ein Bild von seinem Gegenüber und passt daran auch an, wie er spricht. Diese Einordnung des Gegenübers hat Einfluss darauf, ob sich jemand in einer Sprache, die er spricht, anerkannt und zugehörig oder ausgeschlossen fühlt. Und solche Erfahrungen wirken sich auf das zukünftiges Verhalten aus. Sprecher_innen von wenig angesehenen Sprachen könnten nach negativen Erfahrungen beispielsweise vermeiden, ihre Sprache(n) (in der Öffentlichkeit) zu sprechen. Das emotionale Erleben in Gesprächssituationen hat also Einfluss auf die Selbstwahrnehmung von Sprecher_innen.

Die Selbstwahrnehmung als Sprecher_in einer Sprache ist so immer auch abhängig von Bewertungen der Sprachen durch andere.

Farina Diekmann

Busch, B. (2015). Zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung. Zum Konzept des Spracherlebens. In: Schnitzer, A. & Mörgen, R. (Hrsg.) Mehrsprachigkeit und (Un-)Gesagtes. Sprache als soziale Praxis in der Migrationsgesellschaft. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 49-66.

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