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Wie mehrsprachig ist die deutsche Universität?

Es gibt bisher nur wenige Studien, die sich mit der Mehrsprachigkeit im deutschen universitären Kontext befassen. In einem Verbundprojekt mehrerer Fakultäten wurde an der Universität Hamburg der Stellenwert von Mehrsprachigkeit in ausgewählten universitären Handlungsfeldern und aus der Sicht unterschiedlicher Akteursgruppen untersucht.

Über 1000 Studierende und 240 Lehrende füllten den Fragebogen der Studie aus. Die Ergebnisse zeigen eine beeindruckende Zahl von insgesamt 279 Sprachen, die an der Universität Hamburg gesprochen bzw. verstanden werden. Deutlich wird in dieser ersten Annäherung auch ein kreativer Umgang mit der Definition von ‚Sprache‘, denn die Bandbreite reicht von Nationalsprachen und Gebärdensprachen über Programmiersprachen bis hin zu Kunstsprachen wie Klingonisch. Im Durchschnitt zählen Studierende wie Lehrende fünf bis sechs Sprachen zu ihrem Sprachbesitz. Insgesamt sind nahezu alle Nationalsprachen der Welt und viele Minderheitensprachen, Dialekte und Varietäten in den Angaben zu finden. Etwa 78 Prozent der befragten Studierenden gibt an, zunächst einsprachig aufgewachsen zu sein; die übrigen wuchsen mit zwei oder mehr Sprachen auf. Unter den einsprachig erworbenen Muttersprachen wird mit 87 Prozent am häufigsten Deutsch erwähnt, gefolgt von Russisch, Englisch, Chinesisch, Polnisch, Französisch, Türkisch, Spanisch und Italienisch. Unter den befragten Lehrenden geben etwa 87 Prozent an, einsprachig aufgewachsen zu sein. Die am häufigsten erwähnten Muttersprachen sind Deutsch, Englisch, Russisch, Französisch.

Im Gegensatz zu dem hier gezeichneten Bild einer mehrsprachigen Lehrenden- und Studierendenschaft zeigt die Befragung aber auch, dass die meistgebrauchte Sprache im Universitätsalltag Deutsch ist, gefolgt von Englisch – jedoch mit Abstand. Einige der Befragten geben an, auch weitere Sprachen zu verwenden. Das Englische spielt hierbei eine besondere Rolle als internationale Verkehrssprache der Wissenschaft. Das bedeutet auch, dass die weiteren mehrsprachigen Praxen im formalen Kontext der universitären Lehre weitestgehend nicht berücksichtigt werden, jedoch, so ein Ergebnis der Gesamtstudie, im informellen Bereich vorhanden sind.

Die Mobilität von Studierenden aufgrund von allgemeinen Migrationsbewegungen und aufgrund des speziellen universitären Falls von Internationalisierungsprozessen trägt dazu bei, dass der Anteil mehrsprachiger Sprecherinnen und Sprecher zunimmt. Ausgehend von den Ergebnissen der vorgestellten Studie könnten Konzepte entwickelt werden, die die vorhandene Mehrsprachigkeit neben dem Deutschen und Englischen in Lehre und Forschung einbeziehen. Die Autorinnen und Autoren weisen jedoch darauf hin, dass das Ziel der Universität im Bereich der Internationalisierung für den sprachlichen Bereich noch ungeklärt ist.

Friederike Dobutowitsch

Gogolin, I., Androutsopoulos, J., Bührig, K., Giannoutsou, M., Lengyel, D., Maggu, J., Mösko, M., Mueller, J.T., Oeter, S., Schmitt, C., Schroedler, T., Schulz, H. & Siemund, P. (2017). Mehrsprachigkeit in der nachhaltigen Universität. Projektbericht. Hamburg : Universität Hamburg.

Wie die ethnische Zusammensetzung der Nachbarschaft die Sprachpraxis je nach Generationenstatus beeinflusst

Miranda Vervoort und Kollegen zeigen in ihrer Studie auf, dass der Anteil Migranten in einer Nachbarschaft für zwei der größten Migrantenpopulationen Hollands – den Türken und Marokkanern – sowohl Herausforderung als auch Chance für den Umgang mit Bilingualität bedeutet. Angenommen wird, dass die holländische und herkunftsbezogene Sprachpraxis je nach ethnischer Zusammensetzung der Nachbarschaft und je nach Generationenstatus unterschiedlich stark beeinflusst werden. Ein hoher Migrantenanteil in der Nachbarschaft bietet für Migranten der ersten Generation demnach weniger Anreize und Gelegenheiten, die holländische Sprache zu lernen und zu sprechen. Er erhöht aber gleichzeitig den Druck, die Herkunftssprache zu nutzen. Für Migranten der zweiten Generation, die aufgrund ihrer Sozialisation in Holland die Landessprache verwenden, bietet ein hoher Migrantenanteil hingegen die Chance, die Herkunftssprache zu erlernen und zu gebrauchen und die bilinguale Sprachpraxis zu fördern.

Die Autoren stellten fest, dass für Türken und Marokkaner der ersten Generation ein hoher Migrantenanteil in der Nachbarschaft mit einer weniger entwickelten holländischen und einer besseren herkunftsbezogenen Sprachpraxis verbunden ist. Auch Migranten der zweiten Generation verbessern sich in ihrer Herkunftssprache, wenn eine hohe ethnische Konzentration in der Nachbarschaft existiert.

Für Migranten der ersten Generation zeigt die Studie weiter, dass Kontakte mit Holländern trotz dem Kontakt zu Personen derselben Herkunftsgesellschaft zu einer Verbesserung der holländischen Sprachpraxis beiträgt. Ferner gibt die Berücksichtigung von Kontakten mit Migranten aus derselben Herkunftsgesellschaft zu erkennen, dass die ethnische Zusammensetzung der Nachbarschaft vor allem indirekt über zwischenmenschliche Beziehungen einen Einfluss auf die Sprachpraxis von Türken und Marokkanern hat.

Da die Befunde lediglich eine Momentaufnahme sind, können keine Hinweise auf ein Ursache-Wirkung-Verhältnis geliefert werden. Wirkt sich etwa eine hohe ethnische Konzentration wirklich positiv auf die herkunftsbezogene Sprachpraxis von Migranten aus oder ziehen Migranten in Wohnumgebungen mit hohem Migrantenanteil? Inwiefern die eine, die andere oder beide Möglichkeiten zutreffen, kann mit der Studie von Vervoort und Kollegen nicht beantwortet werden und muss in zukünftigen Vorhaben erforscht werden.

Andreas Genoni

Vervoort, M., Dagevos, J., & Flap, H. (2012). Ethnic concentration in the neighbourhood and majority and minority language: a study of first and second-generation immigrants. Social Science Research, 41(3), 555-569.