Bilinguale Kommunikation als Angebot beim gemeinsamen Lernen: Wie häufig wird bilingual kommuniziert und warum (nicht)?

Obwohl ein beachtlicher Anteil der Schüler*innen mehrsprachig aufwächst, wird im Unterricht deutscher Regelschulen Deutsch gesprochen. Für den Einbezug der Sprachen von mehrsprachigen Schüler*innen in ihre Lernprozesse gibt es viele gute Gründe. Allerdings stellt sich die Frage, wie die jeweiligen Sprachen aller Schüler*innen einer Klasse in den Unterricht eingebunden werden können. Von Lehrer*innen kann nicht erwartet werden, dass sie alle Sprachen ihrer Schüler*innen beherrschen. Eine Möglichkeit stellt das Angebot dar, bei der Zusammenarbeit von Schüler*innen mit denselben Sprachen bilinguale Kommunikation untereinander zu erlauben.

Aber machen mehrsprachig aufwachsende Schüler*innen überhaupt von diesem Angebot Gebrauch?  Und wenn ja oder nicht, warum? Diesen (und weiteren) Fragen bin ich in meiner Dissertation nachgegangen. Hierfür untersuchte ich das Kommunikationsverhalten von 54 bilingual türkisch-deutschsprachig aufwachsenden Grundschüler*innen der dritten und vierten Klasse, die zu zweit im Team entweder Lese- oder Rechenstrategien nach dem Unterricht im Projekt BiPeer bearbeiteten. Den Teams wurde erlaubt, dass sie bei der Zusammenarbeit auch in Türkisch oder in Türkisch und Deutsch gemischt miteinander sprechen dürfen.

Zur Ermittlung der Häufigkeit bilingualer Kommunikation wurden Gesprächsbeiträge aufgenommen und ausgewertet. Insgesamt waren ca. 10% der ausgewerteten Gesprächsbeiträge Türkisch oder Türkisch-Deutsch gemischt, ohne relevante Unterschiede zwischen den Teams im Lese- und im Rechenstrategietraining aufzuweisen.

Die Schüler*innen wurden gefragt, ob sie miteinander Türkisch gesprochen haben oder nicht, worauf sie anschließend eine kurze Begründung aufschreiben sollten. Als Begründungen für die Nutzung bilingualer Kommunikation wurde am häufigsten angegeben, dass dies zu einer Erleichterung führte, sie nicht alles auf Deutsch sagen konnten und es Spaß gemacht hat. Allerdings gab es einen Anteil von Begründungen, die auf ein Missverständnis des Angebots als wahrgenommene Pflicht zur bilingualen Kommunikation hinwiesen. Der Verzicht auf bilinguale Kommunikation wurde fast ausschließlich mit fehlenden Kompetenzen im Türkischen oder besseren Kompetenzen im Deutschen als im Türkischen begründet.

Bilinguale Kommunikation wurde vor allem zur Organisation der Zusammenarbeit sowie zur gegenseitigen „Regulation“ (= Steuerung, Kontrolle und Bewertung des Teampartners) eingesetzt. Zur Aufgabenbearbeitung selbst sowie zur Diskussion von Lösungen wurde fast ausschließlich auf Deutsch kommuniziert.

Trotz der relativ geringen Quantität bilingualer Interaktion weisen die Selbstberichte der Schüler*innen zur Annahme des Angebots auf eine wahrgenommene Erleichterung sowie dem Empfinden von Freude hin. Organisation und gegenseitige Regulation stellen zentrale Aufgaben für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in Teams dar und lassen sich einfach sprachlich umsetzen, was als idealer Einstieg in die bilinguale Zusammenarbeit genutzt werden kann. Trotzdem dürfte es wohl einen längerfristigen Einsatz solcher Angebote sowie mehrsprachige unterstützende Materialien benötigen, damit sich die sprachlichen Fähigkeiten verbessern und auch mehrsprachig über Bildungsinhalte kommuniziert werden kann. Zudem sollte vermehrt darauf verwiesen werden, dass es sich bei der bilingualen Kommunikation um ein freiwilliges Angebot handelt, sodass die Schüler*innen nicht den Eindruck gewinnen, auf ein bestimmtes sprachliches Verhalten festgelegt zu werden.

Martin Schastak

(Die komplette Dissertation von Martin Schastak kann als kostenlose PDF beim Verlag Barbara Budrich heruntergeladen werden: https://shop.budrich-academic.de/produkt/bilinguale-interaktion-beim-peer-learning-in-der-grundschule/)

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